Die Mutter wollte mit ihrem 8-jährigen Sohn im Juli 2016 in den Badeurlaub nach Side in die Türkei fahren. Die Flugreise sah einen Zwischenstopp am Flughafen Antalya vor. Sie hatte den Urlaub schon im Januar 2016 gebucht.
Das Sorgerecht für das Kind stand der Mutter und dem geschiedenen Vater gemeinschaftlich zu. Die Mutter bat den Vater im Mai 2016 um seine Zustimmung zu der beabsichtigten Reise. Der Vater sagte aber „nein“, weil er Angst vor Terroranschlägen hatte und die politische Lage zu instabil fand. Er meinte, die Mutter hätte die Reise längst absagen können. Die Terroranschläge in Istanbul und der Putschversuch in der Türkei hätten dazu Anlass gegeben. Die Gefahren für das Kind seien nach Ansicht des Vaters nicht abschätzbar. Insbesondere an türkischen Flughäfen sei die Lage momentan nicht sicher. Die Mutter meinte hingegen, es gebe keine konkreten Reisewarnungen des Auswärtigen Amts für die Region. Das Reiseziel sei fernab von Putschversuch und Terrorgefahr, so dass keine Gefahr bestehe.
Das Familiengericht erteilte der Mutter vorerst die Befugnis, alleine über den Urlaub zu entscheiden. Das OLG Frankfurt hob die Entscheidung aber wieder auf. Das Gericht meint, dass es sich bei der Entscheidung, ob der Junge in die Türkei reisen darf, um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung handelt. Normalerweise handele es sich bei Urlaubsreisen um Angelegenheiten des täglichen Lebens, bei denen der betreuende Elternteil alleine entscheiden kann. Im vorliegenden Fall liege aber keine Entscheidung des täglichen Lebens vor, weil die Umstände der Reise besonders sind. Der Urlaub in der Türkei geht laut Gericht über das normale Lebensrisiko hinaus und ist gefährlich. Deswegen darf die Mutter nicht alleine hierüber entscheiden.
Das Gericht führt aus, dass es in der Vergangenheit viele terroristische Anschläge in der Türkei gegeben hat. Auch Antalya war im Jahr 2015 von Anschlägen betroffen. Zudem lägen Terrordrohungen von extremistischen Gruppen für Urlaubsregionen vor, die eine konkrete Gefahr befürchten lassen.
Es mussten demnach Mutter und Vater gemeinsam entscheiden. Die Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis für die Mutter hob das OLG wieder auf. Allein dass das Kind sich auf den Urlaub gefreut habe und die Stornierung der Reise teuer geworden wäre, rechtfertigt nach Ansicht des Gerichts keine Alleinentscheidung der Mutter. Entscheidend sei vielmehr, ob sich die Eltern verantwortungsbewusst verhalten. Ein verantwortungsvolles Handeln kann aber auch bedeuten, aufgrund eines gewissen allgemeinen Risikos von einer Urlaubsreise abzusehen. Aus diesem Grund wurde der Antrag der Mutter auf Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis abgelehnt.
Die Entscheidung zum Nachlesen: OLG Frankfurt a.M. 21.7.2016 – 5 UF 206/16
Bei Trennung und Scheidung behalten in der Regel beide Eltern das Sorgerecht gemeinschaftlich, es sei denn, ein Elternteil beantragt bei Gericht das alleinige Sorgerecht. Wenn beide Eltern gemeinsam sorgeberechtigt sind, entscheiden die Eltern die wichtigen Entscheidungen im Leben des Kindes gemeinsam. Das Gesetz spricht dabei von Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung, § 1687 BGB. Die Eltern müssen sich also in solchen Angelegenheiten einigen und eine gemeinsame Entscheidung herbeiführen.
Was aber sind Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung? Es handelt sich dabei um Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben und nur schwer umkehrbar sind.
Beispiele:
- Auswahl der Schule
- Umzug in eine andere Stadt
- evtl. Impfung
Im Gegensatz hierzu stehen die Angelegenheiten des täglichen Lebens. Diese dürfen von dem betreuenden Elternteil allein getroffen werden.
Was aber sind Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung? Es handelt sich dabei um Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben und nur schwer umkehrbar sind.
Beispiele:
⇒ Auswahl der Schule
⇒ Umzug in eine andere Stadt
⇒ evtl. Impfung
Im Gegensatz hierzu stehen die Angelegenheiten des täglichen Lebens. Diese dürfen von dem betreuenden Elternteil allein getroffen werden.
Alleinige Entscheidung bei Dingen des täglichen Lebens
Die Angelegenheiten des täglichen Lebens sind von denen mit erheblicher Bedeutung abzugrenzen. Es handelt sich um Dinge, die keine einschneidende Wirkung auf die Entwicklung des Kindes haben.
Beispiele:
- Ernährung
- TV- und Internetkonsum
- Schlafenszeiten
- Umgang mit Freunden
- Freizeitgestaltung
- Arztbesuche
Selbstverständlich ist immer der Einzelfall entscheidend dafür, wie wichtig eine Angelegenheit ist. Wenn ein Kind beispielsweise offensichtliche Anzeichen für eine Computersucht aufzeigt, so ist ein Eingreifen der Eltern angezeigt. Es handelt nicht mehr nur um eine Sache des alltäglichen Lebens (Internetkonsum), sondern hat grundlegende Auswirkungen auf das Kind und muss daher von beiden Eltern entschieden werden. Je wichtiger die Angelegenheit für das Kind, desto eher ist eine gemeinsame Entscheidung erforderlich.
Es ist durchaus auch möglich, dass ein Elternteil nur einen Teil des Sorgerechts auf sich übertragen lässt. Er hat dann die alleinige Entscheidung über alle Dinge, die diesen ganz bestimmten Teilbereich betreffen.
Beispiele für einen abgegrenzten Teil des Sorgerechts:
- Ausbildung
- medizinische Versorgung
- Aufenthaltsbestimmungsrecht
Das Sorgerecht im Übrigen bleibt in diesem Fall aber bei beiden Eltern gemeinsam, d. h. andere grundlegende Entscheidungen müssen weiterhin gemeinsam getroffen werden.
Unter Umständen kann ein Elternteil auch die Alleinentscheidungsbefugnis für eine ganz bestimmte Situation für sich beanspruchen. Hierzu ist ein gerichtlicher Antrag erforderlich, in dem die konkrete Situation dargestellt wird und warum eine alleinige Entscheidung wichtig ist. Das Gericht entscheidet dann nicht über eine generelle Übertragung des Sorgerechts (oder eines Teils davon), sondern nur über eine einzelne streitige Frage (wie hier der Türkeiurlaub).
Ist das Gericht davon überzeugt, dass es zum Wohle des Kindes am Besten ist, überträgt es dem beantragenden Elternteil die alleinige Entscheidungsgewalt für die vorgetragene Situation.